Bist Du schon einmal ohne Plan, ohne festes Ziel losgefahren? Ich auch nicht – auch dieses Mal nicht. Für die ersten vier Tage hatten wir eine Unterkunft in den Hügeln des Apennin gebucht. Es war uns zu riskant in einer unüblichen Urlaubszeit, kurz vor den großen Feiertagen am Ende des Jahres, noch dazu bei wenig prickelnder Wettervorhersage ohne Zielhafen loszupilgern.
Sie lesen sich so glatt, diese großen Heldenreisen/Pilgerreisen. Aber wie erging es Menschen im Mittelalter, oder 200, 300 Jahre später wirklich auf einer solchen Reise? Haben sie etwas erwartet, wenn sie beschlossen, zu pilgern? Durften sie überhaupt hoffen, wieder zurück nach hause zu kommen? Oder waren Gelübde, selbst auferlegte Versprechen der Grund für ein damaliges Risikounternehmen?
Hape Kerkeling hat vielen von uns mit seinem „Ich bin dann mal weg“ aus der Seele gesprochen und Träume angeheizt. Mit all dem was bisher war, zu brechen, ist reizvoll. Ideen für einen Neuanfang finden. Kraft tanken. Eingefahrene Schienen verlassen. Das waren meine Wünsche beim Start der vorweihnachtlichen Reise. Praxis zu, Haus abgeschlossen, kein Internet, kein Telefon … wow, traumhaft – dachte ich.
Wir hatten uns Spielregeln für unsere Reise ausgedacht: keine vorgefertigten Ziele ansteuern – außer der erste Unterkunft. Wachsein in jedem Augenblick – zumindest versuchen. Aufmerksam die Zeichen lesen und der feinen, inneren Stimme folgen. Vertrauen, dass es eine Führung gibt und unsere Wahrnehmungen nicht nur selbst gefertigte Hirngespinste sind.
Könnt ihr euch vorstellen, wie lange da ein Tag wird? Ohne die üblichen Ablenkungsmanöver? Wie fühlt sich eine Kleinstadt in der Poebene Mitte Dezember an, wenn sich Nebel zwischen den Häuserreihen durch enge Gassen windet? Wenn Du keine Lust hast, schon wieder eine Kirche, ein Cafe, eine Bar aufzusuchen? Nun, es gibt zur Abwechslung auch Museen. Aber letztendlich kehrten wir mit einbrechender Dunkelheit, also gegen 17.00 Uhr, in unser hübsches, kleines Turmzimmer im Agriturismo nahe Fidenza zurück. Viel Zeit zu reden, zu denken, zu träumen – bis der Kopf raucht. Tee trinken, kein Abendessen. Und irgendwann kommt der Punkt, da beginne ich zu hören – nicht im Außen. Da startet die Pilgerreise. Und sie ist wenig spektakulär. Kein Stoff aus dem aufregende Geschichten sind. Ich könnte mit meiner Phantasie natürlich eine daraus machen – aber wem nutzt das?
Zuhause am vertrauten Bildschirm, alles hat wieder seinen Raum, seine Ordnung – jetzt erst kann ich begreifen, dass eine andere Frau zurückgekommen ist. Es umgibt mich alt Vertrautes und es fühlt sich fremd an. Neue Ideen sprudeln. Große Dankbarkeit erfüllt mich. Das Jahr 20019 verspricht ein Jahr der Fülle zu werden. Es sind nicht die beiden Neuauflagen meiner Bücher, die im Frühling erscheinen werden, die dieses Gefühl triggern. Es sind nicht die vier Seminartage, die ich noch einmal beim Laboratorium Soluna in Donauwörth geben werde. Es ist nicht der Vortrag beim HP-Kongress in Düsseldorf im kommenden Mai, oder die vielen Anmeldungen in der Praxis. Es ist die Erfahrung still zu werden, geduldig zu lauschen und endlich die feine Stimme zu hören. Der kleine, blaue Vogel hat zu singen begonnen.
Aber was machst Du jetzt mit diesem Bericht. Ich meine – so ganz konkret?
Vielleicht hörst Du auch den Nebel wabern, den nassen Schnee tropfen, den Wind um die Häuserecken streichen und den einsamen Vogel leise zwitschern.